Der u.a. für das Betreuungsrecht zuständige XII. Zivilsenat hat in zwei Verfahren
entschieden, dass es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen
Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche
Zwangsbehandlung fehlt.
In beiden Verfahren begehrten die Betreuerinnen die
Genehmigung einer Zwangsbehandlung der wegen einer psychischen Erkrankung unter
Betreuung stehenden, einwilligungsunfähigen und geschlossen untergebrachten
Betroffenen. Diese benötigen wegen ihrer Erkrankung zwar eine medikamentöse
Behandlung, lehnen die Behandlung krankheitsbedingt aber ab. Die Anträge der
Betreuerinnen blieben vor dem Amtsgericht und dem Landgericht erfolglos. Mit
den von den Landgerichten zugelassenen Rechtsbeschwerden verfolgten die
Betreuerinnen ihre Anträge auf betreuungsgerichtliche Genehmigung der
Zwangsbehandlung weiter. Der XII. Zivilsenat hat beide Rechtsbeschwerden
zurückgewiesen.
Im Rahmen des Wirkungskreises der Gesundheitsvorsorge
kann einem Betreuer die Befugnis übertragen werden, an Stelle des Betroffenen
in dessen ärztliche Behandlung einzuwilligen. Nach der bisherigen
Rechtsprechung des Senats umfasste dies auch die Befugnis, einen der ärztlichen
Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden, wenn der
Betroffene geschlossen untergebracht war und das Betreuungsgericht die
Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigt hatte.
Hieran hält der Bundesgerichtshof nicht mehr fest. Dies ergibt sich aus
Folgendem:
Das Bundesverfassungsgericht hatte in zwei grundlegenden
Beschlüssen aus dem Jahr 2011 (BVerfG FamRZ 2011, 1128 und FamRZ 2011, 1927)
entschieden, dass die Zwangsbehandlung eines im strafrechtlichen
Maßregelvollzug Untergebrachten nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig
ist, das die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimmt. Die
weitreichenden Befugnisse der Unterbringungseinrichtung und die dadurch
eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch
Außenstehende setzten den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher
Abhängigkeit, in der er besonderen Schutzes auch dagegen bedürfe, dass seine
grundrechtlich geschützten Belange etwa aufgrund von Eigeninteressen der
Einrichtung oder ihrer Mitarbeiter bei nicht aufgabengerechter
Personalausstattung oder aufgrund von Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt
würden.
Diese Vorgaben sind nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs im Wesentlichen auf die Zwangsbehandlung im Rahmen einer
betreuungsrechtlichen Unterbringung zu übertragen. Zwar ist der Betreuer im
Rahmen seines Wirkungskreises grundsätzlich zur Vertretung des Betroffenen
befugt. Besonders gravierende Eingriffe in die Rechte des Betroffenen bedürfen
aber schon aus verfassungsrechtlichen Gründen einer ausdrücklichen
gerichtlichen Genehmigung; insoweit ist die sich aus den §§ 1901, 1902 BGB
ergebende Rechtsmacht des Betreuers eingeschränkt. So müssen etwa besonders
gefährliche ärztliche Maßnahmen nach § 1904 BGB, eine Sterilisation nach § 1905
BGB, eine geschlossene Unterbringung nach § 1906 BGB und die Aufgabe der
Mietwohnung eines Betroffenen nach § 1907 BGB zuvor durch das Betreuungsgericht
genehmigt werden.
Eine entsprechende gesetzliche Grundlage für die gebotene
staatliche Kontrolle des Betreuerhandelns fehlt hingegen hinsichtlich einer
Zwangsbehandlung des Betroffenen. Jene muss nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs inhaltlich den gleichen Anforderungen genügen, die das
Bundesverfassungsgericht im Rahmen des strafrechtlichen Maßregelvollzugs
aufgestellt hat. Die materiellen Vorschriften des Betreuungsrechts,
insbesondere § 1906 BGB als Grundlage für eine bloße Freiheitsentziehung, und
die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen
und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) genügen
diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
XII ZB 99/12
AG Ludwigsburg – 8 XVII 58/2012 – Beschluss vom 30. Januar 2012
(veröffentlicht in FamRZ 2012, 739)
LG Stuttgart – 2 T 35/12 – Beschluss vom 16. Februar 2012
(veröffentlicht in BtPrax 2012, 125)
und
XII ZB 130/12
AG Ingolstadt – 17 XVII 78/11 – Beschluss vom 2. Januar 2012
LG Ingolstadt – 13 T 220/12 – Beschluss vom 27. Februar 2012
Karlsruhe, den 17. Juli 2012
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen