Mittwoch, 21. Dezember 2011

Durchführung des Sozialen Entschädigungsrechts; hier: Ausgleichsrente für jugendliche Schwerbeschädigte (§ 34 BVG):

Vb 2 - 54 423 21. November 2011
Rundschreiben

- Berechnungsgrundlagen
- Konkurrenzverhältnis zum Jugendhilferecht (SGB VIII)
Überregionaler Erfahrungsaustausch vom 29. August bis 1. September 2011
Beim Überregionalen Erfahrungsaustausch wurde die Frage erörtert, nach welchen Maßstäben
die Ausgleichsrente für schwerbeschädigte Kinder und Jugendliche nach § 34 Bundesversorgungsgesetz
(BVG) zu berechnen ist.
Dabei wurde deutlich, dass bei den Ländern grundsätzliches Interesse an einer bundesweiten
Vereinheitlichung der Berechnungsgrundlage für die Ausgleichsrente besteht.
1. Berechnungsgrundlage
Ich bin der Auffassung, dass auf eine unterhaltsrechtliche Grundlage unter Anwendung
der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der „Düsseldorfer Tabelle“ zum Mindestbedarf bzw. zum
Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Angehörigen abzustellen ist. Ob und welcher Höhe ein
Anspruch auf Ausgleichsrente besteht, richtet sich danach, ob bei dem schwerbeschädigten
Kind bzw. Jugendlichen unter Abzug anderer ihm zustehender Leistungen (z. B. Kindergeld)
ein Bedarf besteht, der durch die unterhaltspflichtigen Angehörigen nicht gedeckt werden
kann.
Für die unterhaltsrechtliche Berechnungsgrundlage spricht zum einen der Wortlaut des § 34
Abs. 2 BVG, der unter anderem auf die „unterhaltsverpflichteten Angehörigen“ des jugendlichen
Schwerbeschädigten und auf die Lehrlingsvergütung (Ausbildungsvergütung) verweist,
Seite 2 von 4 die im Zivilrecht im Bezug zum Unterhaltsanspruch steht, weil sie auf den Unterhaltsanspruch
anzurechnen ist (vgl. § 1577 BGB).
Zum anderen spricht der Sinn und Zweck von § 34 BVG für eine unterhaltsrechtliche Berechnungsgrundlage.
Die Ausgleichsrente hat keinen (sozialhilferechtlichen) Grundsicherungs-,
sondern einen Schadensausgleichscharakter. Mit der Ausgleichsrente nach § 34
BVG soll eine Lücke beim Unterhaltsbedarf geschlossen werden, für die der Staat ausgleichspflichtig
ist. Die Ausgleichsrente kommt daher nur in Betracht, wenn der Jugendliche
nicht über Einkommen oder Unterhaltsansprüche verfügt, aus denen der Lebensunterhalt,
die Erziehung und Ausbildung bestritten werden können.
2. Verhältnis zum Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII)
Geht man von einem unterhaltsrechtlichen Charakter der Ausgleichsrente nach § 34 BVG
aus, so stellt sich das Problem des Konkurrenzverhältnisses zum Kinder- und Jugendhilferecht.
Gem. § 97 SGB VIII kann der erstattungsberechtigte Träger der öffentlichen Jugendhilfe die
Feststellung einer Sozialleistung (hier nach dem BVG) betreiben und anschließend Leistungen
nach den §§ 102 ff. SGB X beantragen (zu den Formerfordernissen im Erstattungsverfahren
siehe Urteil des BSG vom 10. Dezember 2002 [B 9 VG 6/ 01 R]). Eine Pflicht zur Leistungserstattung
an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe besteht grundsätzlich auch im
Falle der Ausgleichsrente nach § 34 BVG, da Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger
gemäß § 10 Abs. 1 SGB VIII gegenüber Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe vorrangig
sind.
Allerdings muss in diesem Fall eine Kongruenz zwischen Unterhaltsleistungen und (Haupt-)
Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe bestehen. Voraussetzung hierfür ist das Bestehen
miteinander konkurrierender Leistungsverpflichtungen unterschiedlicher Sozialleistungsträger,
d. h. beide Träger müssen hinsichtlich der geeigneten und erforderlichen Hilfe im Einzelfall
zur Leistung verpflichtet sein. Dies setzt nach der Verwaltungsrechtssprechung gleiche,
gleichartige, einander entsprechende, kongruente, einander überschneidende oder deckungsgleiche
Leistungen voraus (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom
29.03.2010 - 12 BV 08.942). In Betracht kommt eine Kongruenz für Leistungen nach dem
SGB VIII, bei denen als Annex auch Leistungen zum Unterhalt gewährt werden. Dies sind
Leistungen nach § 13 Abs. 3 Satz 2, nach § 19 Abs. 3, nach § 21 Satz 2, nach § 39 und
nach § 42 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII. Zu diesen Annexleistungen kann die Ausgleichsrente, die
der Bestreitung des Unterhalts dient, in Konkurrenz stehen. Wegen ihrer Vorrangigkeit bleibt
Seite 3 von 4 sie von den Unterhaltsleistungen der Kinder- und Jugendhilfe unberührt. Sie muss somit weiterhin
an das schwerbeschädigte Kind/den schwerbeschädigten Jugendlichen ausgezahlt
werden.
Damit das schwerbeschädigte Kind/der schwerbeschädigte Jugendliche den Unterhalt oder
Teile des Unterhaltes nicht doppelt erhält (durch Zahlung der Ausgleichsrente und durch die
Unterhaltsleistung der Kinder- und Jugendhilfe), regelt § 93 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII, dass
Leistungen, die dem gleichen Zweck wie die jeweiligen Leistungen der Jugendhilfe dienen,
unabhängig von einem Kostenbeitrag einzusetzen sind. Durch diese Regelung im Kostenbeitragsrecht
wird der Vorrangigkeit der Unterhaltszahlung aus anderen Sozialleistungen gegenüber
den Unterhaltsleistungen der Kinder- und Jugendhilfe Rechnung getragen. Das
heißt, dass für das schwerbeschädigte Kind/ den schwerbeschädigten Jugendlichen die
Ausgleichsrente nach § 34 BVG direkt an den Träger der Kinder- und Jugendhilfe auszuzahlen
ist, wenn und soweit der Träger der Kinder- und Jugendhilfe bei der Versorgungsbehörde
einen Erstattungsanspruch geltend macht und ein gegenüber dem Hilfeempfänger erteilter
rechtsverbindlicher Leistungsbescheid vorgelegt wird. Durch diesen muss ein konkreter
Kostenbeitrag unter Einsatz der dem gleichen Zweck wie die jeweilige Jugendhilfeleistung
dienenden Ausgleichsrente betragsmäßig festgesetzt und vom Hilfeempfänger erhoben werden.
Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Ausgleichsrente nach § 34 BVG vorrangig
gegenüber Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe ist, gilt allerdings für die Hilfen zur Erziehung
nach §§ 27 ff SGB VIII. So fehlt es hier an einer Kongruenz zwischen der Ausgleichsrente
und den Hilfen zur Erziehung, also an einer Vergleichbarkeit der Leistungen. Die Leistungen
nach §§ 27 ff. SGB VIII, insbesondere die in § 33 SGB VIII geregelte Vollzeitpflege,
verfolgen nämlich ein anderes, nicht mit der bloßen Gewährung finanzieller Zuwendungen -
wie z. B. von Renten - vergleichbares Ziel. Anders als bei der Gewährung von Renten nach
dem BVG geht es bei den Leistungen nach den §§ 27 ff. SGB VIII nicht in erster Linie um die
Linderung finanzieller Notlagen durch Geldzuwendungen. Vielmehr wird die Persönlichkeitsentwicklung
des Kindes im Mittelpunkt der Leistungen gestellt. Hieraus folgt, dass die Prüfung,
ob eine Ausgleichsrente zu gewähren ist, ausschließlich anhand der Vorgaben des § 34
BVG, mithin also nach dem tatsächlichen Unterhaltsbedarf des Kindes, zu erfolgen hat (vgl.
Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 23.11.2011 -Az. L 10 VE 40/10).
Werden dementsprechend z. B. bei Unterbringung in einem Heim oder einer Pflegefamilie
die hierbei anfallenden Kosten bereits in vollem Umfang durch die Leistungen der Kinderund
Jugendhilfe gedeckt, entfällt der Unterhaltsanspruch gegen die Eltern zwar nicht dem
Grunde nach; die Höhe des Anspruches kann sich aber durch die Übernahme der Kosten
reduzieren oder der Anspruch kann ganz entfallen (vgl. BGH vom 06.12.2006 – XII ZR
197/04).
Seite 4 von 4 Besteht somit im Einzelfall aufgrund der nach den §§ 27ff. SGB VIII erbrachten Leistungen
kein Unterhaltsbedarf mehr, kommt ein Anspruch auf die ausschließlich bedarfsbezogene
Ausgleichsrente nach § 34 BVG nicht mehr in Betracht.
Im Auftrag
Wältermann
Beglaubigt
Tarifbeschäftigte

Quelle:BMAS -Newsletter Rundschreiben vom21.12.2011
http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Rundschreiben-SE/rundschreiben-soziale-entschaedigung-vb-2-54-423.pdf;jsessionid=E4F966B015DBBB77C906A1849818C67B?__blob=publicationFile

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