Freitag, 30. März 2012

Neues Urteil Pflegestufe: Zeitaufwand der Begleitperson wird berücksichtigt

Das LSG  Rheinland-Pfalz hat entschieden, daß auch der Zeitaufwand einer Begleitperson für Fahrten zum Arzt und die Wartezeiten beim Arzt bei der Feststellung der Pflegestufe berücksichtigt werden müssen, wenn eine Begleitung nicht auf Grund von medizinischen Gründen erfolgt, sondern bspw. um die Sicherheit der Person auf dem Weg zwischen Auto und Arztpraxis zu gewährleisten. Dies ist eine weitere Auslegung als die Vorgabe in den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit : nur wenn eine ständige Beaufsichtigung erforderlich ist und der Pflegebedürftige daher begleitet werden muß, werden die Fahrtzeiten berücksichtigt.

Urteil
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz   L 5 P 29/11   02.02.2012  mehr>>

Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung beschlossen

Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz – PNG) beschlossen.
Ab dem 1. Januar 2013 erhalten Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz, die ohne Pflegestufe (Pflegestufe 0) sind, monatlich ein Pflegegeld von 120 Euro oder Pflegesachleistungen von bis zu 225 Euro. Pflegebedürftige in Pflegestufe I erhalten 305 Euro Pflegegeld oder Pflegesachleistungen von bis zu 665 Euro. Pflegebedürftige in Pflegestufe II bekommen 525 Euro Pflegegeld oder Pflegesachleistungen von bis zu 1.250 Euro. 
Darüber hinaus wird es eine Flexibilisierung der Leistungsinanspruchnahme und eine bessere Beratung bis hin zur Entlastung von Angehörigen geben. Mit einem Initiativprogramm werden Wohngruppen gefördert, mit denen gezielt Angebotsformen zwischen der Versorgung zu Hause und der Unterbringung im Heim ausgebaut werden. 
Zugleich erhält jeder Pflegebedürftige 200 Euro zusätzlich pro Monat in der Wohngruppe; daraus kann man eine Präsenzkraft zur Übernahme vielfältiger organisatorischer Aufgaben finanzieren. 
Die freiwillige private Pflege-Vorsorge wird ab dem 1. Januar 2013 steuerlich gefördert. 

Pressemitteilung des BMG vom 28.03.2012 mehr>>

Freitag, 9. März 2012

Pflegegeld für die Großeltern eines Kindes

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass Großeltern gegenüber dem Träger der Jugendhilfe einen Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für die Vollzeitpflege ihres Enkels auch dann haben können, wenn sie gemeinsam mit diesem und dessen Mutter in einem Haushalt leben.



Pressemitteilung Nr. 19/2012  mehr>>

BVerwG 5 C 12.11 - Urteil vom 1. März 2012

Donnerstag, 8. März 2012

Der Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zur Basispflege bei Neurodermitis aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist rechtens

Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin die ab Mai 2004 entstandenen Kosten für die Selbstbeschaffung von "Linola", "Linola Fett", "Anästhesinsalbe 20 %", "Balneum-Hermal F" sowie "Pasta zinci mollis" zu erstatten und die Klägerin zukünftig mit diesen Mitteln zu versorgen. Die Kläge­rin hat nämlich weder kraft Satzung noch kraft Gesetzes einen Naturalleistungsanspruch auf die Mit­tel, ohne dass höherrangiges Recht entgegensteht.
Selbst wenn es sich bei "Linola" um ein Arzneimittel und nicht lediglich um ein Kosmetikum handelt, scheidet ein Anspruch hierauf ebenso aus wie auf "Anästhesinsalbe 20 %". Nach Arzneimittelrecht verkehrsfähig sind diese Mittel allenfalls wegen der verfahrensrechtlichen Aufrechterhaltung einer Alt-Zulassung nach dem AMG 1961. Ein solcher Zulassungsstatus genügt aber nicht, um die Verord­nungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu begründen: Es fehlt an der erfolg­reichen Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Mittel.
Die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel "Pasta zinci mollis", "Balneum-Hermal F" und "Linola Fett" schließt § 34 Abs 1 Satz 1 SGB V grundsätzlich von der GKV-Versorgung aus. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat in seinen Richtlinien (AM-RL) für die Mittel keinen Ausnahmetatbestand vorgesehen. Er legt fest, welche nicht verschreibungspflichtigen (OTC-)Arzneimittel, die bei der Be­handlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können.
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat es rechtmäßig abgelehnt, die Versorgung mit Basistherapeu­tika bei Neurodermitis als verordnungsfähige Standardtherapie in die AM-RL aufzunehmen. Die Haut­pflegemittel, die keine Arzneimittel sind, hat der Gesetzgeber von vornherein nicht in den GKV-Leis­tungskatalog aufgenommen. Bei Bedürftigkeit Betroffener übernehmen andere Teile des Sozialsys­tems unter den dort genannten Voraussetzungen die Versorgung mit solchen Leistungen, etwa das SGB II und SGB XII. Dementsprechend durfte der Gemeinsame Bundesausschuss die Verordnungs­fähigkeit von OTC-Arzneimitteln auch für Mischbereiche ablehnen, in denen alternativ zu Arzneimitteln kostengünstigere kosmetische Pflegemittel für vergleichbare Zwecke zur Verfügung stehen. Das gilt jedenfalls solange, als nicht ein zusätzlicher krankheitsspezifischer Nutzen der betroffenen Arzneimit­tel anhand belastbarer Statistiken gegenüber den anderen Pflegemitteln belegt ist. Es gilt erst recht, soweit die Qualifikation als Standardtherapeutikum nicht durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauert ist. So liegt es hinsichtlich "Linola Fett", "Balneum-Hermal F" sowie "Pasta zinci mollis".
Die Regelungen widersprechen nicht Verfassungsrecht. Sie sichern die Versorgung Versicherter in Fällen schwerer Verlaufsformen der Neurodermitis mit dem allgemein anerkannten Therapiestandard, etwa der Anwendung lokal applizierter Glukokortikoide oder topischer Behandlung mit Calcineurin-Inhibitoren. Der Gesetzgeber hat in verhältnismäßiger Weise den Bereich der Eigenvorsorge ausges­taltet. Die Qualität der Mittel der Krankheitsbekämpfung und die Schwere der Krankheit, nicht aber die ökonomische Bedürftigkeit des Betroffenen bestimmen systemgerecht und verfassungskonform den Umfang des GKV-Leistungskatalogs.
 
BSG  Medieninformation Nr. 7/12   mehr>>                                                 Kassel, 06. März 2012

 Az.:  B 1 KR 24/10 R                          K.  ./.  DAK-Gesundheit

Ein Versicherter hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Cialis gegen seine Krankenkasse

Der Kläger kann wegen der Versorgung mit dem Arzneimittel Cialis zur Behandlung seiner erektilen Dysfunktion von der beklagten Ersatzkasse weder Kostenerstattung für die Vergangenheit noch künf­tige Naturalleistung beanspruchen. Die Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Cialis unterfällt nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). § 34 Abs 1 Satz 7 und 8 SGB V schließen Arzneimittel von der GKV-Versorgung aus, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ins­besondere Arzneimittel, die ‑ wie Cialis ‑ überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion die­nen, zählen dazu.
Art 25 Satz 3 Buchst b iVm Satz 1 und 2 UN-BRK hebt den gesetzlichen Leistungsausschluss nicht auf. Die Regelung ist in ihrem hier bedeutsamen Teil nicht hinreichend bestimmt, um unmittelbar an­gewendet zu werden; sie bedarf vielmehr einer Ausführungsgesetzgebung.
Weder das Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK noch Verfassungsrecht verhelfen dem Kläger zum Erfolg. Art 5 Abs 2 UN-BRK ist unmittelbar anwendbares Recht. Er verbietet jede Diskri­minierung aufgrund von Behinderung und garantiert Menschen mit Behinderungen gleichen und wirk­samen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen. Er umfasst alle For­men der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen. Im Sinne von Art 2 UN-BRK bedeuten "angemessene Vorkehrungen" notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Dieses Diskriminierungsverbot entspricht für die Leistungsbestimmungen der gesetzlichen Krankenversicherung im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG. Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Eine Benachteiligung in diesem Sinne kann auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme kompensiert wird.
Der Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 Satz 7 und 8 SGB V verstößt weder gegen das verfas­sungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Er knüpft nicht an eine Behinderung in diesem Sinne an, sondern erfasst weitergehend im Vorfeld alle Fälle der Erkrankung oder Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen. Soweit die Ausschlussregelung zugleich behinderte Menschen trifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des GKV-Leistungskata­logs noch gerechtfertigt. GG und UN-BRK fordern zur Achtung des Diskriminierungsverbots keine unverhältnismäßigen oder unbilligen Belastungen. Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspiel­raum nicht, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung solche Leistungen aus dem Leistungskatalog ausschließt, die in erster Linie einer Steigerung der Lebensqua­lität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen. Dies gilt erst recht, wenn es sich um Bereiche han­delt, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen auch maßgeb­lich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Versicherten abhängen können. Schließlich darf der Gesetzgeber auch aus Gründen der Rechtssicherheit klare Grenzlinien ziehen.
 
BSG Medieninformation Nr. 8/12      mehr>>                                                 Kassel, 06. März 2012

Az.:  B 1 KR 10/11 R                          R.  ./.  Barmer GEK