Freitag, 19. August 2011

Kein Ehegattensplitting bei Zweitfrau - Dauerndes Getrenntleben von Ehegatten, von denen einer im Wachkoma liegt

Eine Zusammenveranlagung mit der im Koma liegenden Ehefrau kommt nicht in Betracht, wenn der Ehemann bereits mit einer neuen Partnerin zusammenlebt und aus dieser Beziehung ein Kind hervorgegangen ist. Dies hat der 10. Senat des FG Köln in seinem Urteil vom 16. Juni 2011 (10 K 4736/07externer Link, öffnet neues Browserfenster) entschieden.
In dem Verfahren klagte ein Mann auf Zusammenveranlagung mit seiner im Wachkoma liegenden Ehefrau, die in einem Pflegeheim untergebracht war. Zur Haushaltsführung und Versorgung der beiden ehelichen Kinder nahm der Kläger gegen Kost und Logis eine Frau auf, die im Streitjahr vom Kläger ein Kind bekam. Das Finanzamt lehnte daraufhin die Zusammenveranlagung des Klägers mit seiner Ehefrau ab.
Dies bestätigte der 10. Senat. Er hielt es wie das Finanzamt für ausgeschlossen, die Kindsmutter lediglich als “Hausangestellte“ zu sehen. Der Senat ging vielmehr spätestens mit der Geburt des gemeinsamen Kindes von der Begründung einer neuen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft aus, durch die die Gemeinschaft mit der im Koma liegenden Ehefrau aufgehoben worden sei. Nach dem grundgesetzlichen Gebot der Einehe (Art. 6 GGexterner Link, öffnet neues Browserfenster) könnten bei einer Person nicht gleichzeitig zwei Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaften vorliegen.
Der 10. Senat hat die Revision gegen sein Urteil zum BFH zugelassen, weil bisher noch nicht höchstrichterlich entschieden sei, ob besondere Lebensumstände das gleichzeitige Vorliegen von zwei Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaften rechtfertigen könnten.


Quelle: Finanzgericht Köln Pressemitteilung vom 01.08.2011
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/fgs/koeln/j2011/10_K_4736_07urteil20110616.html

Kosten für berufliche Erstausbildung und Erststudium unmittelbar nach Schulabschluss können in voller Höhe abziehbar sein

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteilen vom 28. Juli 2011 VI R 38/10 und VI R 7/10 entschieden, dass das seit 2004 geltende Abzugsverbot für Kosten eines Erststudiums und einer Erstausbildung der Abziehbarkeit beruflich veranlasster Kosten für eine Erstausbildung oder für ein Erststudium auch dann nicht entgegensteht, wenn der Steuerpflichtige diese Berufsausbildung unmittelbar im Anschluss an seine Schulausbildung aufgenommen hatte.

In einem der vom BFH entschiedenen Fälle nahm der Kläger bei einer Tochtergesellschaft einer Fluglinie die Ausbildung zum Berufspiloten auf. Hierfür entstanden ihm Aufwendungen von annähernd 28.000 €. In dieser Höhe beantragte er mit seiner Einkommensteuererklärung 2004 einen Verlustvortrag festzustellen. Er berief sich darauf, dass diese Ausbildungskosten vorweggenommene Werbungskosten für seine künftige nichtselbstständige Tätigkeit als Pilot seien. Im anderen Streitfall hatte die Klägerin ihre Schulausbildung 2004 mit dem Abitur abgeschlossen und anschließend das Medizinstudium aufgenommen. Auch sie machte ihre Aufwendungen für das Studium als vorweggenommene Werbungskosten geltend und beantragte ebenfalls eine entsprechende Verlustfeststellung.

Die Finanzämter lehnten die beantragten Verlustfeststellungen ab. Sie beriefen sich dazu auf die ab 2004 geltende Regelung des § 12 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die bestimme, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium im Rahmen der Einkünfteermittlung nicht abziehbar sind, wenn die Aufwendungen nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden. Dieser Auffassung folgten auch die Finanzgerichte.

Die dagegen eingelegten Revisionen der Kläger waren erfolgreich. Der BFH entschied, dass aus § 12 Nr. 5 EStG kein solches generelles Abzugsverbot folge. Denn § 12 Nr. 5 EStG regele ausdrücklich, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium bei den einzelnen Einkunftsarten und vom Gesamtbetrag der Einkünfte nur insoweit nicht abgezogen werden dürften, als in § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht etwas anderes bestimmt sei. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG bestimme jedoch etwas anderes. Denn danach greife der Grundsatz, dass Aufwendungen nur dann als Sonderausgaben abziehbar sind, wenn nicht der vorrangige Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzug zur Anwendung kommt. In beiden Fällen seien aber die Kosten der Ausbildung hinreichend konkret durch die spätere Berufstätigkeit der Kläger veranlasst, so dass sie als vorweggenommene Werbungskosten berücksichtigt werden müssten.


Quelle: Bundesfinanzhof Nr. 63 vom 17. August 2011

siehe auch:  Urteil des VI.  Senats vom 28.7.2011 - VI R 7/10 -, Urteil des VI.  Senats vom 28.7.2011 - VI R 38/10 -

Donnerstag, 18. August 2011

Befristung von Urlaubsansprüchen

Das BAG hat entschieden, daß auf Grund von mehrjähriger Arbeitsunfähigkeit angesammelter Urlaub nach Aufnahme der Arbeit innerhalb des Urlaubsjahres genommen werden muß - mangels anderweitiger einzel- oder tarifvertraglicher Regelungen -, da er ansonsten verfalle, sofern kein Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 BUrlG vorliegt. 
Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG muss der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG).

Der von dem Kläger erhobene Urlaubsanspruch ging spätestens mit Ablauf des 31. Dezember des Jahres der Arbeitsaufnahme unter. Mangels abweichender einzel- oder tarifvertraglicher Regelungen verfällt der am Ende des Urlaubsjahrs nicht genommene Urlaub, sofern kein Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 BUrlG vorliegt. Dies ist jedenfalls in den Fällen anzunehmen, in denen der Arbeitnehmer nicht aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen, etwa aufgrund von Arbeitsunfähigkeit, an der Urlaubnahme gehindert ist. Übertragene Urlaubsansprüche sind in gleicher Weise befristet. Wird ein zunächst arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer im Kalenderjahr einschließlich des Übertragungszeitraums so rechtzeitig gesund, dass er in der verbleibenden Zeit seinen Urlaub nehmen kann, erlischt der aus früheren Zeiträumen stammende Urlaubsanspruch genau so wie der Anspruch, der zu Beginn des Urlaubsjahrs neu entstanden ist. Das BAG hat die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Arbeitnehmer Urlaubsansprüche über mehrere Jahre ansammeln können, offengelassen.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. August 2011 - 9 AZR 425/10 - 
Pressemitteilung Nr. 64/11
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 18. Mai 2010 - 12 Sa 38/10 -


TIP:
Kehrt der Betreute nach langjähriger Erkrankung an seinen Arbeitsplatz zurück, muß umgehend der angesammelte Urlaubsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht werden, da er andernfalls mit Ende des Urlaubsjahrs verfällt, sofern kein Übertragungsgrund wie zB erneute Erkrankung - vorliegt. Der EuGH ist aktuell mit der Problematik der Befristung von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen befaßt. In Kürze mehr dazu.

Urlaubsabgeltungsansprüche verfallen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Ausschlußfrist

Das BAG hat am 09.08.2011 entschieden, daß sämtliche Urlaubsabgeltungsansprüche auf Grund der im entschiedenen Fall maßgeblichen Ausschlußfrist verfallen sind. Das bedeutet für alle Dauer- bzw. Langzeiterkrankten, daß sie bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses ihren über den Zeitraum der Erkrankung angesammelten Urlaubsabgeltungsanspruch umgehend innerhalb der Ausschlußfrist geltend machen müssen, sofern auf ihr Arbeitsverhältnis eine Ausschlußfrist, sei es tariflich oder vertraglich,  Anwendung findet. Andernfalls verfallen ihre Urlaubsabgeltungsansprüche.
Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ist der Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommen werden kann.
Im entschiedenen Fall hatte eine über 2 Jahre durchgehend arbeitsunfähig erkrankte Krankenschwester seit Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine unbefristete Rente wegen Erwerbsminderung bezogen, ihren sofort mit Beendigung fälligen Urlaubsabgeltungsanspruch aber erst nach Ablauf der 6-monatigen Ausschlußfrist bei ihrem Arbeitgeber geltend gemacht. Die Klage war ohne Erfolg, denn ihre Urlaubsabgeltungsansprüche verfielen wegen Versäumung der Ausschlussfrist des maßgeblichen Tarifvertrages. Der Anspruch auf Abgeltung des bestehenden Urlaubs entsteht auch bei über das Arbeitsverhältnis hinaus andauernder Arbeitsunfähigkeit gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird sofort fällig. Er ist nicht Surrogat des Urlaubsanspruchs, sondern reine Geldforderung und unterliegt damit wie andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis einzel- und tarifvertraglichen Ausschlussfristen. Das gilt auch für die Abgeltung des nach § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 3 Abs. 1 BUrlG unabdingbaren gesetzlichen Mindesturlaubs.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 9. August 2011 - 9 AZR 352/10 -  
Pressemitteilung Nr. 63/11
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 20. April 2010 - 12 Sa 1448/09 -

TIP:
Für Betreuer bedeutet dies, daß sie bei in Arbeitsverhältnissen stehenden Betreuten darauf achten müssen, ob einzel- oder tarifvertragliche Ausschlußfristen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden und in entsprechend gelagerten Fällen die oft über mehrere Jahre angesammelten Urlaubsabgeltungsansprüche rechtzeitig gegenüber dem Arbeitgeber des Betreuten geltend machen müssen, um sich ggf einer Inanspruchnahme durch den Betreuten zu entziehen. Hier ist besonderes Augenmerk gefordert, da regelmäßig hohe Beträge im Raume stehen.

Vera Munz
Rechtsanwältin

Private Krankenversicherung : Schuldenerlaß für Hartz IV Empfänger

Hartz-IV-Empfänger sollen ihre Beitragsschulden bei privaten Krankenversicherern erlassen bekommen. Die Privatkassen erhalten künftig ihre Beiträge direkt vom Jobcenter und verzichten dafür auf Außenstände.
Berlin - Hartz-IV-Empfängern sollen Beitragsschulden bei privaten Krankenversicherern erlassen werden. Das sieht ein Kompromiss vor, den das Gesundheitsministerium nach Informationen des Tagesspiegels mit dem Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) ausgehandelt hat. Im Gegenzug bekommen die privaten Kassen die staatlichen Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung künftig direkt von den Jobcentern und Sozialhilfeträgern überwiesen. Damit haben sie die Gewähr, dass die Betroffenen dieses Geld nicht anderweitig verwenden.
Die entsprechenden Gesetzesänderungen sollen bereits Ende August vom Kabinett beschlossen werden.

Quelle: Der Tagesspiegel online 18.08.2011  08:49 h Rainer Woratschka

Dienstag, 16. August 2011

Gehhilfe-Rollatoren bald 12 % billiger ?

Ab dem 01.10.2011 könnten Gehhilfe-Rollatoren billiger werden, denn sie unterliegen dann nur noch dem ermäßigten Umsatzsteuersattz iHv 7 %. Der EuGH hatte mit Urteil vom 22.Dezember 2010 - C-273/09 - (ABl. EU 2011 Nr. C 63 S. 5) entschieden, daß die Umsatzsteuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Nr. 52 Buchst. b der Anlage 2 zum UStG auf Umsätze mit Gehhilfe-Rollatoren Anwendung finden müsse, da die zugrundeliegende Verordnung zur Einreihung in die Liste der Güter des ermäßigten Umsatsteuersatzes ungültig ist. Der Anwendungsbereich des ermäßigten Umsatzsteuersatzes wurde Gehhilfe-Rollatoren erstreckt, die aus einem Aluminiumrohrrahmen auf vier Rädern, mit vorderen Drehlagerrädern, Griffen und Bremsen bestehen und ihrer Beschaffenheit nach als Hilfe für Personen mit Gehschwierigkeiten bestimmt sind. Dem entspricht nun auch das aktuelle BMF-Schreiben vom 11.08.2011 IV BD 2 S 7227/11/10001 (2011/0640421), wonach die Lieferungen von Gehhilfe-Rollatoren gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. Nr. 52 Buchst. b der Anlage 2 zum UStG dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 % unterliegen. Damit sind die vorherigen Verwaltungsanweisungen, die dies ausschlossen, - insbesondere das BMF-Schreiben vom 5. August 2004 - IV B 7 - S 7220 - 46/04 - (BStBl I S. 638), nicht mehr anzuwenden.
Bei Umsätzen bis zum 30.09.2011 kann der Verkäufer noch den erhöhten Umsatzsteuersatz von 19 % beim Käufer geltend machen; ab dem 01.10.2011 gilt dann nur noch der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7%.
Die Differenz von 12 % müßte bei der neuen Preiskalkulation dem Verbraucher zu gute kommen.

Quelle: BMF-Schreiben vom 11. August 2011
- IV D 2 - S 7227/11/10001 - (2011/0640421) -
BEZUG
BMF-Schreiben vom 5. August 2004
-  I 638V B 7 - S 7220 - 46/04 - (BStBl I S. 638)
EuGH-Urteil vom 22.Dezember 2010 - C-273/09 - (ABl. EU 2011 Nr. C 63 S. 5)

Donnerstag, 11. August 2011

Anrechnung Kindergeld auf Kindesunterhalt bei nachrangigem Ehegattenunterhalt nicht verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 14.07.2011 1 BvR 932/10 entschieden,
daß es keine Verletzung des Gebots der Gleichbehandlung von Bar- und Betreuungsunterhalt darstellt, dass das Oberlandesgericht das Kindergeld bereits auf den Unterhaltsbedarf der Tochter des Beschwerdeführers angerechnet und demzufolge bei der Ermittlung des nachrangigen Ehegattenunterhalts von dessen Einkommen nicht den Tabellenbetrag, sondern lediglich den Zahlbetrag an Kindesunterhalt abgesetzt hat. Der Gesetzgeber hat im Zuge der Unterhaltsrechtsreform einen Systemwechsel bei der Zuweisung des Kindergeldes vollzogen, das nun nicht mehr den Eltern, sondern den Kindern selbst als deren eigenes Einkommen familienrechtlich bindend und unabhängig vom Außenverhältnis zwischen dem Bezugsberechtigten und der Familienkasse zugewiesen ist. Diese neue Zuweisung des Kindergeldes ergibt sich aus dem Wortlaut des § 1612b BGB n.F., wonach dieses zur Deckung des Barbedarfs des Kindes zu verwenden ist, und entspricht im Übrigen dem Willen des Gesetzgebers.
Der ein minderjähriges Kind betreuende Elternteil erfüllt seine Unterhaltspflicht in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes (Betreuungsunterhalt); der andere Elternteil ist zur Zahlung von Barunterhalt verpflichtet. Das Kindergeld steht grundsätzlich beiden Elternteilen zu gleichen Teilen zu, wird jedoch zur verwaltungstechnischen Erleichterung nur einem Elternteil, regelmäßig dem betreuenden, ausgezahlt. Nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage wurde das dem betreuenden Elternteil ausgezahlte Kindergeld mit dem Barunterhalt verrechnet. Schuldete der barunterhaltspflichtige Elternteil neben dem Kindesunterhalt auch Ehegattenunterhalt, wurde bei dessen Berechnung der Kindesunterhalt in Höhe des entsprechenden Betrages nach der sog. Düsseldorfer Tabelle (sog. Tabellenbetrag) abgezogen. Diese Berechnungsmethode führte dazu, dass dem Barunterhaltspflichtigen sein Kindergeldanteil grundsätzlich unvermindert für eigene Zwecke verblieb. Nach der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Reform des Unterhaltsrechts orientiert sich der dynamische Kindesunterhalt nicht mehr an der Regelbetragsverordnung, sondern an einem im Gesetz festgeschriebenen Mindestunterhalt, der sich in Anpassung an die Vorschriften des Steuerrechts nach dem doppelten Freibetrag für das Existenzminimum eines Kindes richtet. Das Kindergeld ist nach der Neuregelung des § 1612b BGB zur Deckung des Barbedarfs des Kindes zu verwenden und zwar zur Hälfte, wenn ein Elternteil seine Unterhaltspflicht durch Betreuung des Kindes erfüllt, in allen anderen Fällen in voller Höhe. Der Bundesgerichtshof geht seit der Unterhaltsreform davon aus, dass das Kindergeld nicht mehr - wie nach der früheren Rechtslage - Einkommen der Eltern, sondern Einkommen des Kindes darstellt und daher vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen vor der Ermittlung geschuldeten Ehegattenunterhalts nicht mehr der Tabellenbetrag, sondern nur der Zahlbetrag an Kindesunterhalt abzuziehen ist.

Der Gesetzgeber hat anlässlich der Unterhaltsrechtsreform beide Elternteile, unabhängig davon, ob sie Bar- oder Betreuungsunterhalt leisten, verpflichtet, den auf sie entfallenden Kindergeldanteil ausschließlich für den Unterhalt des Kindes zu verwenden. Nicht nur der Barunterhaltspflichtige hat den auf den Barunterhalt entfallenden Kindergeldanteil vollständig für den Barunterhalt des Kindes zu verwenden mit der Folge, dass von seinem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen nur der Zahlbetrag an Kindesunterhalt abzusetzen ist. Auch der Betreuungsunterhaltspflichtige ist verpflichtet, den auf ihn entfallenden Kindergeldanteil vollständig für den Betreuungsunterhalt des Kindes zu verwenden. Dabei kann in Anbetracht der Orientierung der Höhe des Kindergeldes am Existenzminimum des Kindes davon ausgegangen werden, dass der Bezugsberechtigte das Kindergeld auch tatsächlich für die Bedürfnisse seines Kindes verwendet.

Quelle: Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 50/2011 vom 10. August 2011

Beschluss vom 14. Juli 20111 BvR 932/10

Donnerstag, 4. August 2011

Warmmiete lag 2010 bei 7,73 € durchschnittlich

Die durchschnittliche Warmmiete in 2010 lag bei 7,73 €, die durchschnittliche Bruttokaltmiete bei 6,59 €, so der Wohngeld- und Mietenbericht der Bundesregierung, der jetzt vorgelegt wurde. Bei einer durchschnittlichen Wohnfläche von 70 qm ergibt dies eine Warmmiete von 461 €.

Mietensteigerungen von 2007 bis 2010 :
bei Neubauwohnungen (Erstvermieteung) von 1,6 - 1,7 %, bei Altbauwohnugnen 1,1 % jährlich.

Mietvorteile von Sozialwohnungen :
unterschiedlich je nach Bundesland, Gemeindegröße und Baujahr
2009 durchschnittlich 0,70 € pro Quadratmeter, d.h. 10 % des durchschnittlichen bundesweiten Marktmietniveaus.

warme Betriebskosten:
2007 - 2010 deutliche Erhöhung von 3,3 % pro Jahr

Ergebnis: durchschnittliche Warmmiete 2010 7,73 € pro qm


Quelle: hib Nr. 314 vom 03.08.2011


Mittwoch, 3. August 2011

Vorsicht bei Internetformularen zum Gebrauchtwagenverkauf

Oberlandesgericht Oldenburg Urteil vom 22.07.2011 6-U-14/11

Im Internet finden sich für eine Vielzahl von Verträgen hilfreiche Formulare für den juristischen Laien. Einer juristischen Überprüfung halten sie aber nicht immer stand. Diese Erfahrung musste jetzt ein privater Autoverkäufer machen. Der Käufer des Autos wollte vom Kaufvertrag zurücktreten, nachdem er einen massiven Unfallschaden am Fahrzeug festgestellt hatte. Nach dem schriftlichen Kaufvertrag war die Gewährleistung zwar ausgeschlossen. Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts entschied jedoch, dass der konkret vereinbarte Gewährleistungsausschluss unwirksam ist (Az. 6 U 14/11).
Der Kläger hatte von einem privaten Verkäufer einen gebrauchten Pkw Golf zum Preis von 6.900 Euro erworben. Als Kaufvertrag hatte der Verkäufer ein Formular aus dem Internet verwendet. Darin hieß es: "Der Verkäufer übernimmt für die Beschaffenheit des verkauften Kfz keine Gewährleistung". Einige Monate nach dem Kauf stellte der Kläger einen schweren Unfallschaden am Pkw mit gravierenden Restschäden fest. Er verlangte vom Verkäufer, der von dem Vorschaden keine Kenntnis hatte, die Rückabwicklung des Kaufgeschäfts. Der Verkäufer berief sich auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss.
Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts gab dem Kläger Recht. Der Gewährleistungsausschluss sei unwirksam. Bei den Kaufvertragsklauseln aus dem Internet handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), weil diese für eine mehrfache Verwendung vorformuliert seien. Dafür gelten aber die strengen Wirksamkeitsvoraussetzungen gemäß § 309 Nr. 7 a und b des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Danach muss ein wirksamer Gewährleistungsausschluss eine Einschränkung für grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzungen sowie hinsichtlich Körperschäden enthalten. Da diese Einschränkungen im konkreten Fall fehlten, sei der vereinbarte Gewährleistungsausschluss insgesamt unwirksam.
Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: OLG Oldenburg PM vom 22.07.2011

Besteuerung von Rentennachzahlungen nach dem Alterseinkünftegesetz

BFH Urteil vom 13.04.11   X R 1/10


Rentennachzahlungen, die für Jahre vor 2005 geleistet werden, können nicht mit dem Ertragsanteil, sondern müssen mit dem durch das Alterseinkünftegesetz normierten Besteuerungsanteil besteuert werden, wenn die Rentenzahlungen erst nach dem 1. Januar 2005, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes, zugeflossen sind. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 13. April 2011 X R 1/10 entschieden und damit ein anders lautendes Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts aus dem Jahr 2009 aufgehoben.

In dem Streitfall hatte die Klägerin im Februar 2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beantragt. Die Rentenversicherung Bund hatte jedoch erst im Februar 2005 die Erwerbsminderungsrente rückwirkend bewilligt. Die entsprechenden Rentennachzahlungen wurden von dem Finanzamt mit dem Besteuerungsanteil von 50 % besteuert und nicht - wie von der Klägerin beantragt - mit dem Ertragsanteil, der in ihrem Fall 4 % betragen hätte. Das Niedersächsische Finanzgericht hatte der Klägerin Recht gegeben. Es war der Auffassung, Nachzahlungen für eine Zeit vor dem Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes seien jedenfalls dann noch nach der alten Rechtslage zu besteuern, wenn der Steuerpflichtige seine Rente so frühzeitig beantragt habe, dass er die Zahlungen vor dem 1. Januar 2005 hätte erwarten können.

Der BFH sah dies anders. Die gesetzliche Neuregelung der Besteuerung der Renten sei ausdrücklich auf alle Rentenzahlungen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2004 zugeflossen seien. Für eine Einschränkung dieser Vorschrift bestehe keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit.


Aus diesem Grund hat der BFH auch in den Parallelfällen X R 19/09 und X R 17/10 die Besteuerung der Rentennachzahlungen mit dem Besteuerungsanteil bestätigt.

Quelle : BFH PM Nr. 57 vom 27. Juli 2011

Besteuerung von Erwerbsminderungsrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung wie Altersrenten

BFH Urteil vom 13.04.11   X R 54/09


Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in mehreren Urteilen vom 13. April 2011 (X R 54/09 sowie X R 19/09 und X R 33/09) entschieden, dass auch die Erwerbsminderungsrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mit dem - gewöhnlich niedrigeren - Ertragsanteil, sondern mit dem sog. Besteuerungsanteil zu besteuern sind. Diese Besteuerung beruht auf der Neuregelung der steuerlichen Behandlung der Alterseinkünfte durch das Alterseinkünftegesetz im Jahr 2004.

Der BFH hatte bereits 2009 und 2010 die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes in Bezug auf die Altersrenten grundsätzlich bejaht. Nun hat er entschieden, dass die Neuregelung auch in Bezug auf die Erwerbsminderungsrenten nicht gegen die Verfassung verstoße.

In dem Streitfall X R 54/09 hatte die Klägerin im Jahr 2005 eine Erwerbsminderungsrente erhalten. Diese Rente wurde mit einem Besteuerungsanteil von 50 % der Besteuerung unterworfen. Wäre die Rente demgegenüber noch im Jahr 2004 - dem Jahr vor dem Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes - gezahlt worden, wäre sie nur mit einem Ertragsanteil von 4 % zu besteuern gewesen.

Die durch die Neuregelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes eingetretene Steuermehrbelastung der Klägerin sah der BFH als durch den grundlegenden Systemwechsel der Rentenbesteuerung, der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden war, gerechtfertigt an. Es bestehe kein entscheidender Unterschied zu den Altersrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Quelle PM Nr. 56 vom 27. Juli 2011

Scheinarbeitsvertrag begründet keinen Krankenversicherungsschutz

LSG Sachsen-Anhalt 19.5.2011, L 10 KR 52/07
Wer einen Arbeitsvertrag allein zur Absicherung gegen Krankheit abschließt, handelt nach einem Urteil des LSG Sachsen-Anhalt rechtsmissbräuchlich und wird nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenkasse.
Die nicht krankenversicherte Klägerin war als einzige Beschäftigte im maroden Imbissbetrieb ihres Vaters angestellt worden. Schon nach wenigen Wochen musste sie wegen einer schweren psychischen Krankheit stationär behandelt werden und ist seither arbeitsunfähig. Die Krankenkasse lehnte ein Versicherungsverhältnis ab. Die dagegen gerichtete Klage ist ohne Erfolg geblieben. Die Richter sind von einem Scheinarbeitsverhältnis ausgegangen, das allein zur Absicherung gegen Krankheit geschlossen wurde. Eine Arbeitsleistung habe die Klägerin nicht erbracht, es sei auch für sie keine Ersatzkraft eingestellt worden. Umsätze hätte der Betrieb wohl nicht gemacht. Die geringe Lohnhöhe sowie die Aushändigung in bar in der Klinik entsprächen nicht einem üblichen Arbeitsverhältnis. Die Krankheit dürfte schon bei Vertragsabschluss bekannt gewesen sein; medizinische Ermittlungen durch das Gericht habe die Klägerin aber verweigert.
Das Urteil ist rechtskräftig.

Linkhinweis:Für den auf dem Portal der deutschen Sozialgerichtsbarkeit veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier : https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=143610&s0=&s1=&s2=&words=&sensitive=

Quelle: LSG Sachsen-Anhalt PM Nr. 7 vom 11.7.2011

"Wistleblowing" kann von Meinungsfreiheit gedeckt sein - Deutschland muß gekündigte Altenpflegerin entschädigen

EGMR 21.7.2011, Beschwerde-Nr. 28274/08
"Whistleblowing" kann von Meinungsfreiheit gedeckt sein - Deutschland muss gekündigte Altenpflegerin entschädigen
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in der fristlosen Kündigung einer deutschen Altenpflegerin einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gesehen und Deutschland zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt. Die Altenpflegerin hatte ihren Arbeitgeber wegen eines jahrelangen Personalnotstands und damit verbundener Pflegemängel angezeigt. Deutsche Arbeitsgerichte hatten die daraufhin ausgesprochene Kündigung als wirksam erachtet.
Der Sachverhalt:Die Antragstellerin war in einem Altenpflegeheim, das dem Land Berlin gehört, als Altenpflegerin beschäftigt. Sie hatte sich bereits in den Jahren 2003 und 2004 beim Pflegeheimbetreiber beschwert, dass es zu wenig Personal gebe und daher nicht alle Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt werden könnten. Die Dienstleistungen würden zudem nicht ordnungsgemäß dokumentiert. Eine Ende 2003 vom medizinischen Dienst der Krankenkassen durchgeführte Inspektion kam zu einem ähnlichen Ergebnis und stellte gravierende Pflegemängel fest.
Ende 2004 erstattete die Klägerin Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber wegen Betrugs. Das Pflegeheim täusche in seiner Werbung eine qualitativ hochwertige Versorgung vor und lasse sich diese bezahlen, erbringe diese Leistung aber tatsächlich nicht. Der Arbeitgeber reagierte hierauf mit einer fristlosen Kündigung der Antragstellerin. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor den deutschen Arbeitsgerichten in allen Instanzen keinen Erfolg.
Das EGMR verurteilte Deutschland, an die Antragstellerin eine Entschädigung i.H.v. insgesamt 15.000 Euro zu zahlen.
Die Gründe:Die fristlose Kündigung der Antragstellerin verstößt gegen die durch Art. 10 EMRK geschützte Freiheit der Meinungsäußerung. Sogenanntes "Whistleblowing", das öffentliche Bekanntmachen von Missständen beim Arbeitgeber, fällt in den Anwendungsbereich von Art. 10 EMRK. Die Kündigung eines "Whistleblowers" stellt demnach einen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung dar.
Vorliegend war dieser Eingriff nicht gerechtfertigt. Die Vorwürfe, die die Antragstellerin gegen ihren Arbeitgeber erhoben hat, haben zwar eine rufschädigende Wirkung für das Unternehmen. Das öffentliche Interesse an Informationen über Mängel in der institutionellen Altenpflege wiegt aber so schwer, dass dahinter die Interessen des Unternehmens am Schutz seines Rufs und seiner Geschäftsinteressen zurücktreten muss.
Im Streitfall kommt erschwerend hinzu, dass die Antragstellerin den Arbeitgeber mehrmals ohne Erfolg auf die Missstände hingewiesen hatte, bevor sie mit den Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen war. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat. Daher war die fristlose Kündigung der Antragstellerin unverhältnismäßig und hätte nicht von den deutschen Arbeitsgerichten bestätigt werden dürfen.
Linkhinweis:Für den auf den Webseiten des EGMR veröffentlichen Volltext der Entscheidung (englisch) klicken Sie bitte hier : http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?action=html&documentId=888505&portal=hbkm&source=externalbydocnumber&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649.
Quelle: EGMR PM vom 21.07.2011

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